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Hochgefühle in den Niederlanden

Die Niederlande, das bedeutet Windmühlen und Wohnwagen, Fahrräder und Fussball. Und vor allem Wasser. Mit dem Flusskreuzfahrtschiff unterwegs auf Flüssen und Kanälen, Seen und sogar einem Stückchen Meer.
Ein Artikel von Martin Zimmerli, erschienen in der Coop-Zeitung am 02.09.19.

Wasser, Wasser, Wasser. Über das Thema Wasser kann man in den Niederlanden Dauergespräche führen. Es ist omnipräsent. Das Land vom Wasser aus zu erkunden kann deshalb nicht ganz falsch sein. Am bequemsten tut man dies auf einer Flusskreuzfahrt. Und die beginnt in Nijmegen, auf einem Fluss namens Waal. Wenige Kilometer weiter oben, bis kurz nach der deutschen Grenze, hiess er noch Rhein, teilte sich dann aber auf. Wurde aufgeteilt, denn wie fast überall im Land, hat der Mensch dem Wasser auch hier seinen Lauf aufgezwungen: Ein Drittel geht in den Niederrhein, zwei Drittel in die Waal. Kaum ein Kilometer Fluss im Land, auf dem das Wasser seinem natürlichen Lauf folgt: Kanäle, Schleusen, Deiche all überall. Ein Viertel der Landesfläche liegt unter der Nullnorm, die Hälfte weniger als einen Meter über Meer. Schleusen, die das Schiff anheben oder absenken, gleichen das Niveau zwischen den Kanälen aus. Wann wir uns über dem Meeresniveau befinden, wann darunter – wer weiss das schon genau?

Die Passagiere nicht, aber, natürlich, Kapitän Marcel Duyx (38). Der sitzt im Steuerhaus der Excellence Countess – 135 Meter lang, 11,45 Meter breit, maximal 178 Passagiere –, dem jüngsten Kind der Schiffsflotte des Reisebüros Mittelthurgau. Duyx ist in Nijmegen geboren. Und er ist begeistert. Begeistert von seinem neuen Schiff, das erst im Mai dieses Jahres vom Stapel gelaufen ist; begeistert aber auch von seinen Passagieren, die zwar nicht mehr ganz so neu, dafür fast dauerhaft guter Laune sind. Wenigstens die meisten. «Ihr Schweizer seid immer so gut drauf», sagt er, «ihr seid ein gemütliches Volk.»

Wenn er das sagt, wird es wohl stimmen, er ist der unbestrittene Chef auf dem Schiff. Dass er die Gewässer vor seiner Haustüre befahren kann, betrachtet Duyx als grosses Privileg. «Viele Kapitäne müssen mit dem Flugzeug zur Arbeit, ich nehme das Fahrrad.»



«Ihr Schweizer seid immer gut drauf, ihr seid ein gemütliches Volk.» Marcel Duyx, Kapitän

Apropos Fahrrad: Dieses heisst hier «fiets» und ist für das Land ebenso symbolisch wie das allgegenwärtige Wasser. Jeder und jede ist ein «fietser». Allein in Amsterdam gibt es über eine Million Fahrräder – bei 870 000 Einwohnern. 57 Prozent benützen ihr «fiets» täglich, 43 Prozent fahren damit zur Arbeit. Das tut der Luft gut, bringt aber andere Probleme. Parkplatzprobleme. Deshalb entsteht in der Nähe des Hauptbahnhofs nun ein Veloparkhaus, das 20 000 Vehikeln Platz bieten soll. Und auf dem Wasser schwimmen mehrere Parkplatzinseln für je 2000 Velos.

So wird das Meer zum See

Kapitän Duyx steuert seine «Gräfin» die Waal hinunter in die südwestliche Provinz Zeeland. Hier sind die menschlichen Eingriffe in die Wasserführung besonders augenscheinlich. Stichwort: Deltawerke, ein Netz von Dämmen, die zum Teil erst mit gigantischen Sperrwerken geschlossen werden, wenn Gefahr in Verzug ist. Zum Beispiel in Form einer Sturmflut, wie sie zuletzt 1953 über die Region donnerte. Sie durchbrach schlecht befestigte oder zu wenig hohe Dämme, überschwemmte 200 000 Hektaren Kulturland und riss 1835 Menschen in den Tod.

Für eine andere Art menschlicher Eingriffe in den Wasserhaushalt ist der Nordwesten der Niederlande exemplarisch: die Gewinnung von Land durch Eindeichungen. Man schrieb das Jahr 1932, als zwischen den Provinzen Friesland und Nordholland ein 100 Meter breiter und 29 Kilometer langer Deich gebaut wurde. Dieser trennte die Meeresbucht Zuiderzee vom Wattenmeer ab und hiess fortan IJsselmeer, ist aber ein See. Im Niederländischen ist ein «meer» eben ein See, und ein «zee» ein Meer. Im konkreten Fall mutierte die (salzwasserhaltige) Zuiderzee zum (süsswasserhaltigen) IJsselmeer. Und ja, man schreibt «IJ» (zweimal gross) am Anfang des Wortes und sagt «Ei». Durch den Bau des Deiches verschwanden im dahinterliegenden Gebiet die Gezeiten, wodurch weite Flächen problemlos trockengelegt werden konnten. So entstand die zwölfte und neuste Provinz der Niederlande, Flevoland.

Der Hohe Berg überragt alles

Besonders anspruchsvoll ist die Arbeit für den Kapitän hier nicht. Die gerade zurückgelegte Strecke von der Provinz Zeeland durch die Provinzen Süd- und Nordholland hat ihm da einiges mehr abverlangt, vorab beim Manövrieren in den Häfen. Und die Region hat auch den Passagieren mehr geboten. Die Hafentour in Rotterdam und die Grachtenrundfahrt in Amsterdam – natürlich nicht auf der «Countess» – erzählten von der Weltoffenheit der Seefahrernation Niederlande. Kaum ein Gebäude, das die Skyline der zwei grössten Städte des Landes mitgestaltet, hat «normale» Konturen. Hier haben Häuser die Form von Würfeln, die auf einer Ecke stehen (Kubushäuser Rotterdam), dort ist das oberste Stockwerk eines Hochhauses, einem Drehverschluss gleich, 45 Grad abgedreht (A’dam Tower Amsterdam). Die Niederlande sind nicht nur eine Seefahrer-, sondern auch eine Architekten- und Ingenieurnation.

Durch eine Schleuse steuert der Kapitän die exzellente «Gräfin» hinaus ins Meer, ins Wattenmeer (niederländisch natürlich «Waddenzee»). Texel ist das Ziel. Die westlichste der Westfriesischen Inseln ist bekannt für ihre reiche Tier- und Pflanzenwelt. Und den «Hoge Berg» (dt. Hohen Berg), dessen Gipfel sich 15,3 Meter über die Nullnorm in die Höhe ragt. Ein würdiger Abschluss einer hochinteressanten Reise. Und die Erklärung dafür, warum erfolgreiche Skirennfahrer niederländischer Provenienz eher Mangel-, berühmte Seefahrer dagegen schon fast Dutzendware sind.


Was gefällt Ihnen an einer Flusskreuzfahrt?

Gaby Kaiser-Sieber (58) aus Chur GR
«Seit sieben Jahren, seit dem Tod meines Vaters, gehe ich mit meiner Mutter (80) und meiner Tante (70) in die Ferien. Acht Mal waren wir jetzt schon auf einer Flusskreuzfahrt. Im Normalfall organisiere ich die Reise und dann schauen wir, wer was macht. Die Älteren können während eines Ausflugs auf dem Schiff bleiben und wir, die wir etwas aktiver sind, machen alle Ausflüge mit und gehen vielleicht auch auf eigene Faust in die Stadt. Am Schluss stimmt es für alle. Bequem ist halt: Man bezieht eine schöne Kabine und sieht trotzdem immer andere Städte und Landschaften.»
Foto Martin Zimmerli

Hans Gäumann (82) aus Thürnen BL
«Meine Frau und ich haben sicher schon ein Dutzend Flusskreuzfahren gemacht. Jedes Jahr eine, dieses Jahr sogar zwei. Die Reise von Passau bis Budapest haben wir sogar zweimal gemacht. Langweilig ist einem das nie. Am besten gefallen hat uns die Reise Rhein-Main-Donau-Kanal: Da stimmte das Wetter, alles blühte. Ein grosser Vorteil dieser Art zu reisen: Man hat sein Bett immer dabei und muss nicht immer packen. Ist man müde, kann man sich hinlegen, man kann einen Ausflug machen oder kann es sein lassen. Trotzdem, mehr als eine Woche kann ich mit meiner Frau nicht weg: Dann will sie wieder heim.»
Foto Martin Zimmerli

Rosmarie (71) und Otto Brunner-Ritter (77) aus Muttenz BL

«Wir sind zum sechsten Mal auf einer Flusskreuzfahrt. Das ist unglaublich komfortabel: Du steigst in der Schweiz in den Bus und hast nichts mehr zu tun mit deinem Koffer. Alle Ausflüge, stets mit lokalen Guides, sind vorbereitet, du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern. Du bist auf dem Schiff wie in einem Hotel und erlebst die Vielseitigkeit der Landschaften, die an dir vorbeiziehen. Egal, ob auf der Donau Richtung Schwarzes Meer, in Holland über die vielen Flüsse und Seen oder von Paris Richtung Normandie: Jede Reise ist ein besonderes Erlebnis und hat ihren besonderen Reiz.»
Foto Martin Zimmerli


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